DER VERMEINTLICHE BLICK NACH INNEN

Zum Projekt FENSTEREINSICHT

Text von Dr. Maja Bogumila Hoffmann, Bildende Künstlerin und Autorin

Mit einem Blick ins Innere, hinein durch das Fenster, das einem Schlüsselloch ähnelt, beginnt Kathrin Horschs Arbeit „Fenstereinsicht / Modell 3“ zugleich mit einem Außen.
Im herkömmlichen Sinne verstehen wir ein Außen als ein potenziell unendlich Verortetes und hinter jeglicher Grenzziehung Lauerndes. Unverhofft scheint es über das begrenzte Innen hereinzubrechen, um es schließlich zur Preisgabe einer Realität jenseits der Erscheinungen zu zwingen. Damit markiert der „Blick hinein“ eine von außen herangetragene Erwartungshaltung an das Innere (der Arbeit). Zugleich wird diese Erwartungshaltung, die auf einen Einbruch unartikulierter und unbekannter Kräfte im Raum wartet, nicht erfüllt. Stattdessen modelliert das Spiel aus Licht und Schatten einen langgestreckten und scheinbar unendlich wirkenden Korridor. Wo ein Raum – da ein Plot. Wo Bewegung – da Narration. Flure, Gänge, Unterführungen: Wir assoziieren und stellen Bezüge her. Wir können eben nicht anders, denn die Hervorbringung von Sinn klebt an uns und lässt nicht los. Gleichwohl findet ein kurzes Aufflackern eines narrativen Moments keinen Halt: Es vergeht, sobald es aufscheint. Was sich dennoch erschließt, ist eine sinnliche Dimension, entstanden im Wechselspiel zwischen der Bewegung des Lichts und der Erzeugung von (Raum)Tiefe. Das, was letztlich nachhallt, sind unartikulierte, leise Affekte.
Kathrin Horsch arbeitet mit und am Modell. Aber entgegen der gängigen Zuordnung ist ihr Modell nicht „für“ oder „von“ etwas. Es repräsentiert keine Phänomene dessen, was wir „die Welt“ nennen und beschreibt auch keine konkreten Systeme. Es eliminiert weder Mängel noch optimiert es Prozesse. Erst recht nicht lassen sich darauf Kriterien von „wahr“ oder „falsch“ anwenden, weil es nicht darauf festgelegt ist, überzeugende Begründungen für einen ontologischen Status zu liefern.
Dies zeigt sich deutlich im Aufbau der Arbeit. Das zunächst Verborgene offenbart großzügig seine Komponenten, sobald der Innenraum hinter der Fenstereinsicht betreten wird. Das „Innere“ der Arbeit samt seiner „Mechanik“ wird nicht kaschiert, vielmehr enthüllt es sich quasi als Eigenständiges und dennoch mit dem Rest Verbundenes. Die Arbeit passt sich dem Raum, in dem sie aufgebaut und ausgestellt wird, an und besitzt im Gegensatz zum herkömmlichen Modellverständnis keine isolierte Struktur. Links, im Inneren des Raumes, Richtung Fenster blickend, sehen wir den langen Einbau, der das Modell des Korridors beherbergt. Es besteht aus hintereinander angeordneten Türöffnungen in Fluchtperspektive, die nach hinten immer kleiner werden. Rechts daneben, parallel verlaufend: eine Bahn. Auf der Bahn: ein ferngesteuertes Modellauto mit einer Lampe. Sobald die Korridor-Installation von außen durch das Fenster betrachtet wird, setzt die Künstlerin es unbemerkt in Bewegung. Die auf- und abfahrende Lichtquelle strahlt dann den langen Einbau von der Seite an, so als würde sie ihn abtasten.
Die Arbeit beobachtet quasi sich selbst. Indem sie den Blick nach innen richtet, lässt sie ihre Komponenten gleichzeitig nach außen kehren und verschiebt die Innenperspektive zu einer Außenbetrachtung. Aber das Innere wird nicht einfach nur zum Äußeren der Arbeit und vice versa. Vielmehr speist sich das Äußere in einer wechselseitigen Intensivierung aus der inneren Konstruktion des Modells selbst. Das Modell wiederum verliert beständig seinen Bezugsgegenstand und aktualisiert seine Grenzziehungen immer wieder aufs Neue. Dem, was wir „das Außen“ nennen, wird ununterbrochen die Entität entzogen.
So lässt sich die Arbeit „Fenstereinsicht / Modell 3“ in erster Linie als Modellierung des S/sinnlichen(Raums) verstehen, jedoch nicht im Sinne eines Nachstellens, sondern als einer Ermöglichung differentieller Vorstellungskraft und des Aushaltens einer Nichterfüllung. Die Installation bedingt ein Wechselspiel vieler Größen, die sich gegenseitig zu beeinflussen scheinen und stets mehr als das Sichtbare enthalten. Das Raummodell gründet Prozesse des Denkens und greift gleichzeitig in sie hinein, dabei entsteht das Objekt der Reflexion erst in und durch die Beobachtung. Damit fordert Kathrin Horsch mit ihrer Arbeit die Grenzen des Denkbaren und Artikulierbaren heraus und bleibt doch selbst eine Beobachtende.