FATA MORGANA

Text zum Projekt Fata Morgana – oder die Suche danach von Dr. Mareike Teigeler, Philosophin und Soziologin

Eine Fata Morgana ist seltsam. Sie ist befremdlich und verstörend. Es erscheint etwas, das uns irritiert. Das uns in Staunen versetzt. Wir sehen etwas, das wir nicht richtig einordnen können. Etwas das sich dem Gewohnten, oder Alltäglichen, dem, was wir kennen, auf sonderbare Art und Weise entzieht.
Kein Wunder, dass sich die Künstlerin Kathrin Horsch im Rahmen ihrer Arbeit „Fata Morgana oder die Suche danach“ auf eine Forschungsreise an die Nordsee begibt, um eben jener Sonderbarkeit auf die Spur zu kommen. Einer wissenschaftlichen Herangehensweise durchaus widersprechend jedoch ist der Zeitpunkt, den sie für ihre Forschungsarbeit anvisiert. Kathrin Horsch wählt mit dem dunkelsten und stürmischsten Monat November nämlich ausgerechnet den Zeitraum aus, innerhalb dessen das Erscheinen einer Fata Morgana eigentlich unmöglich ist.
Obwohl sie dem Sonderbaren in dieser bestimmten, dieser besonderen Form einer Fata Morgana also gar nicht begegnen kann, begibt sich Kathrin Horsch trotzdem auf die Suche und konfrontiert uns damit, dass dieses ›Eine‹, das, was sie da sucht, alles Mögliche sein kann. Dass dieses ›Eine‹, das uns irritiert und uns in Staunen versetzt, gleichzeitig alles ist, womit wir in Kontakt treten.
Die Unmöglichkeit dafür, eine Fata Morgana zu finden und trotzdem nach ihr zu suchen, öffnet den Blick auf das, was übrig bleibt. Auf das, was übrig bleibt, wenn sich auch ein letzter Rest an Wissen, wenn sich der Halt, den uns die Fata Morgana verspricht, auflöst. Wenn wir nicht mehr sagen können, dass das, was uns da irritiert, etwas Bestimmtes, etwas Sonderbares, eben eine Fata Morgana ist. Kathrin Horsch öffnet den Blick auf das, was übrig bleibt, wenn es diese Gewissheit nicht gibt.
Wenn wir uns das, was uns irritiert, das, was sich unserer Erfahrung, unserer Überzeugung, oder Vorstellungskraft entzieht, nicht erklären können. Wenn es uns fremd bleibt, wenn wir die Frage danach, was es ist, das uns da irritiert nicht mehr beantworten können.
Eben jener Rest an Wissen, jener Halt, dem wir uns durch die Fata Morgana versichern, verschwindet auf Kathrin Horschs auswegloser Suche. Es ist unmöglich, mit der Irritation in Kontakt zu treten.
Es funktioniert nicht. Stattdessen aber treten wir auf Kathrin Horschs Suche in Kontakt mit uns selbst. Die Bewegungen, die uns Kathrin Horsch präsentiert, sind Bewegungen, die es erlauben, uns uns selbst anzunähern.
Kathrin Horsch schafft Situationen, innerhalb derer wir in eine Berührung geraten. Man betrachtet, oder sieht das von Kathrin Horsch in verschiedenen Videos exponierte Geschehen nicht nur, man fühlt es. Man ist mit den Dingen in Kontakt und spürt, wie sie selbst miteinander in Kontakt sind. Mehr als diesen Kontakt gibt es nicht. Es gibt keine Auflösung. Jeder Festlegung, oder Fixierung kommt immer wieder etwas dazwischen.
Alles bleibt in Berührung: Wieder knallt die Tür neben der blauen Wand, plötzlich wird das Auto umgelenkt, immer weiter weht der Wind den Sand umher. Wo sich etwas darbietet, verschwindet es im gleichen Moment und auf die gleiche Weise, in der es sich zeigt. Genauso wie sich die Spalte auf der weißen Wand zu bilden beginnt, verschwindet sie. Genauso wie sich der Sand auf etwas hin bewegt, kommt der Wind jeder Manifestation desselben immer wieder dazwischen. Jedes Mal.
Doch immer ist da etwas. Immer ist da etwas zwischen dem Einen und dem Anderen. Immer ist da etwas zwischen dem, was wir sehen und uns.
Immer wieder macht sich etwas bemerkbar. Lenkt unsere Aufmerksamkeit auf sich.
Wo wir nur auf die Spalte geachtet hatten, macht sich plötzlich die weiße Wand bemerkbar. Jetzt erst fühlen wir, dass wir schon die ganze Zeit dem Geräusch des Windes ausgesetzt sind. Immer ist da etwas, das uns in sich hineinzieht, obwohl gar nichts geschieht. Die Tür schlägt auf und zu. Die Spalte bewegt sich hin und her. Trotzdem ist nicht klar, was als nächstes kommt. Nicht klar, welche Wendung sich vollzieht. Versunken in die Bewegung des Sandes, irritiert uns plötzlich das Pfeifen des Windes. Wir sind berührt von dem Auto, das sein Ziel nicht aus dem Auge verliert und dabei ganz alleine ist.
Kathrin Horsch stellt uns auf ihrer Suche nach der Fata Morgana nichts Bestimmtes vor. Wir sehen nichts, das wir aus der Ferne, das wir von außen betrachten könnten. Ganz im Gegenteil. Auf Kathrin Horschs Suche nach der Fata Morgana löst sich das Sonderbare aus unserer Vorstellung. Es zeigt sich plötzlich überall. Immer dann nämlich, wenn wir in eine Nähe, in eine Berührung geraten, immer dann kommt es uns da zwischen.

DAS UNAUFHÖRLICHE ANSTEIGEN UND VEREBBEN

Text zum Projekt Fata Morgana – oder die Suche danach von Dr. Maja Bogumila Hoffmann, Bildende Künstlerin und Autorin

Ein eindringlicher Sound, von innen oder von außen kommend, gefolgt von einem Aufhorchen. Zunächst unabsichtlich, dann deutend. Ein lautes Dröhnen. Ein Brummen, vielleicht. Turbinengeräusche. Eher ein Wehen und Pfeifen. Ein Sturm womöglich. Aufheulen. Gesang.
Dynamisch und kraftvoll ist der Sound von „Fata Morgana – oder die Suche danach“ von Kathrin Horsch, der jenseits der Ausstellungsfläche die Korridore flutet. Seine Eindringlichkeit, nicht seine Lautstärke, bannt uns. Wir scheinen ihm zu folgen. Die Richtung, aus der er kommt, lässt sich nicht verfehlen. So affiziert uns die Arbeit schon, noch bevor wir in den Ausstellungsraum treten. Doch sobald wir es tun, entfaltet sich vor uns ihre volle Präsenz.
Mitten im Sound eingebettet, stehen wir vor einer ca. 8 m breiten x 3 m hohen Projektionsfläche und schauen auf etwas wie eine Verwehung. Die hauchdünnen, abgetragenen Schichten gleiten und schieben sich mal über-, mal ineinander, mal langsam, mal mit voller Wucht. Sie verdichten sich, jedoch nicht, um zu bleiben. Sie ballen sich zusammen und vergehen dennoch, um schließlich wiederzukehren. Die raumfüllenden Geräusche und die Größe der Projektion, die vom Boden bis an die Decke reicht, betten uns ein und versetzen uns sogleich in den Zustand einer Ambivalenz, die sich zwischen passivem Betrachten und Gewahrwerden eigener innerer Befindlichkeiten spannt. Denn das, was wir zu sehen und zu hören meinen, offenbart keineswegs im Lichtschein besonderer Dimensionalität eine klare Deutung. Die reflexive Überwindung kurzschlüssiger Annahmen kommt hier ins Stocken. Je länger wir hinschauen und hinhören, desto stärker verändert und verschiebt sich unsere Wahrnehmung. Die Installation wirkt mit einem Male subtiler, die endlose Wiederkehr der audiovisuellen Elemente vielschichtiger und feiner. Das zusätzliche Fehlen eines Horizonts als ultimative Orientierungshilfe kehrt das, was wir salopp als „Naturbetrachtung“ beschreiben würden, zu einer inneren Befragung, zu einer Projektion innerhalb einer Projektion.
Dieses seltsam Unbestimmte, das sich hier nicht eindeutig fassen lässt, über-fordert und fordert uns zugleich.
Was sich dabei herausschält, trachtet nicht nach dem Sinn einer unmittelbaren Erkenntnis, nach dem Sinn eines unverstellten und eindeutigen Zugangs zu dem, was wir in Begriffen wie das Leben, die Welt, Natur, Umwelt, ja die Wirklichkeit fassen. Hingegen verdichtet es sich zu der Frage: Wonach suchen wir? Was suchen wir, wenn wir etwas wahrnehmen und betrachten?
Die Künstlerin Kathrin Horsch sucht in der Verschiebung und Verdichtung der audiovisuellen Elemente ihrer Installation nach der Fata Morgana. Die historischen Auseinandersetzungen mit diesem Phänomen sind geprägt durch das Bestreben, den menschlichen Verstand von erkenntnistrübenden Störungen zu reinigen. Deren Ziel ist eine direkte Begegnung des erkennenden Subjektes mit der Wirklichkeit. Obwohl sich diese optisch-physikalische Besonderheit anhand der Lichtbrechungsgesetze bereits im 18. Jhd. recht gut rational-wissenschaftlich erklären lassen, bleibt die Täuschungsabsicht, in der Tradition eines „voluntas ad fallendum“ (der Wille zu täuschen), an der Fata Morgana weiterhin haften. Kathrin Horsch folgt nicht diesem Narrativ. Es geht ihr nicht um die Aufdeckung passabler Kriterien eines Wahrheitsanspruchs. Vielmehr sucht sie nach einem sinnlichen Zugang zu „Dingen“, die sich einer begrifflichen Fixierung zumindest teilweise entziehen. Sie führt uns „hinters Licht“ wie „ans Licht“ gleichermaßen. Sinneswahrnehmungen, Reflexionen, Intensivierung. Mit ihrer Installation simuliert sie ein Zurechtkommen in einer Welt, die im Begriff ist, sich uns ständig zu entziehen, und in der wir – ob wir es wollen oder nicht – uns dennoch zurechtfinden müssen.
Wie die Figuren aus Virginia Woolfs Roman „The Waves“ werden auch wir mit der endlosen Komplexität menschlicher Erfahrung konfrontiert, die uns mangels Orientierung allzu oft in den Zustand der Selbstbezogenheit versetzt: „Ja, dies ist die ewige Erneuerung, das unaufhörliche Ansteigen und Verebben, Verebben und Wiederansteigen.“ Indes markiert die immerwährende Abfolge des Aufkommens und Verschwindens in Horschs Arbeit als ewige Wiederkehr nicht bloß das Vergehen der Zeit. Das, worauf es hier ankommt, sind die Mikroprozesse der permanenten Anrufung einer Wirklichkeit, die trotz aller Flüchtigkeit, in ihrer Intensivierung zumindest temporär den Status einer sinnlichen Gewissheit bekommt.

FATA MORGANA – DIE ILLUSION EINER ILLUSION

Text von Dr. Klaus Frieler, Physiker

In der Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Fata Morgana und ihrer Entstehung drängt sich die Frage auf, ob es sich dabei wirklich um eine Illusion handelt, wie gemeinhin angenommen wird, denn es wird nichts dargestellt, was nicht auch real vorhanden ist, wenn auch nicht dort, wo man es vermuten würde. Ein Spiegel produziert auch keine Illusion, und eine Fata Morgana ist nichts anderes als ein natürlicher Spiegel oder auch eine Art Fernrohr. Sie ist durchaus vergleichbar mit diesen Verkehrspiegeln, die an gefährlichen Kreuzungen und Straßenbiegungen stehen, damit man um die Ecke schauen kann. Das lässt einen daran denken, dass man nichts direkt wahrnehmen kann. Alles ist nur eine physikalische Interaktion von Licht mit Stäbchen und Zapfen im Auge, diese mit den Sehnerven und dieser mit den visuellen Rinden im Gehirn, aber auch mit Brillen und Kontaktlinsen und der Linse im Auge. Auch das Licht ist nicht das Eigentliche: die meisten Dinge, die zu sehen sind, strahlen ja nicht selbst, sie reflektieren nur Licht, sind also nicht viel anderes als ein Spiegel. Manche Dinge sieht man auch nur, weil sie kein Licht reflektieren, sondern absorbieren, also eine Form negativer Spiegel. All das Licht, das uns sehen lässt, ist also bereits vielfach gespiegelt, transformiert und verändert, nur wahrnehmbar, weil neuronale Netze im Hirn sie zu wiedererkennbaren Mustern zusammenfassen und davon wieder abstrahieren, mit Sinn und Assoziationen ausstatten. Mit etwas gutem Willen zur Abstraktion könnte man sogar sagen, dass unsere Realität nur aus einem großen Netz vielfältiger Fata Morganen besteht. Die meisten sind für uns aber nicht wahrnehmbar, weil sie die Wahrnehmung bereits konstituieren. Fata Morganen zu suchen, wie der Titel der Installation von Kathrin Horsch andeutet, heißt damit auch Realität suchen, oder zumindest das, was uns als Realität erscheint, was sie konstituiert. Es heißt aber auch, dahinter zu blicken, um nicht so zu enden wie die arme Karawane, die zur falschen Oase zieht. Obwohl, wenn man sich die Physik der Fata Morgana anschaut, die Oase gar nicht falsch ist, denn ohne reale Oase keine Fata Morgana einer Oase. Sie wird nur nicht dort liegen, wie eine naive Interpretation des Gesehenen nahelegt. Das Paradoxe ist also, dass eine Fata Morgana sehr real ist, auch wenn sie oft im Gewand einer Illusion daherkommt, etwa weil Schiffe über dem Horizont zu schweben scheinen oder gar auf dem Kopf stehen. Es ist nur die Illusion einer Illusion.
Vielleicht ist es aber eine weitere Eigenschaft von Fata Morganen, die Kathrin Horsch in dieser Arbeit am meisten interessiert: deren Ephemerität. Damit es zu einer Fata Morgana kommen kann, müssen bestimmte Wetterbedingungen herrschen, um das fein abgestimmte Zusammenspiel von unterschiedlich warmen Luftschichten zu ermöglichen, die das Licht so beugen, dass es Objekte von hinter dem Horizont zum Betrachter bringen. Das ist in unseren Breiten nur im Sommer möglich. Das erklärt vielleicht auch die primäre Assoziation von Fata Morgana mit der Wüste. Fata Morganen sind in der Regel kurzlebig und damit schwer zu finden, da schlecht vorherzusagen ist, ob und wann die Voraussetzungen erfüllt sind. Eine Fata Morgana an der Nordsee zu erheischen braucht Sommerwetter und viel Geduld oder Glück. Darüber hinaus ist die Erscheinung einer Fata Morgana generisch unwirklich, sie flirrt und schwirrt (aufgrund der Turbulenzen der heißen Luft), sie wirken immer weit entfernt, ungreifbar, unnahbar, schwer zu fassen, oft wie mit einem silbrigen Schimmer überzogen. Letztlich sieht man die Luft selbst in der Fata Morgana, sie wirkt damit ephemer auf uns. Ähnliches lässt sich auch von Verwehungen im Watt sagen, immer gleich, doch immer anders, immer sich verändernd. Auch das ein Spiel der Luft in Form des Windes. Wind kann man nicht sehen, sondern nur an seinen Auswirklungen erkennen, oder ihn hören und fühlen.